Zum Volkstrauertag 2025

Vinzenz Odenthal – Zu ihm hat das Ehrenmal gesprochen

 

Seit fast siebzig Jahren steht nun das Ehrenmal in der Mitte des Dorfes und erinnert uns mit seinen einunddreißig Inschriften an die Opfer zweier barbarischer Kriege. Es ist ein Teil des Ortes geworden, wie die Kirche, an die es sich anlehnt. 

Den langjährigen Schulleiter der Niederdreeser Volksschule Vinzenz Odenthal führte noch im hohen Alter sein täglicher Rundgang durch das Dorf an dem Ehrenmal vorbei. Er hatte selber an beiden Weltkriegen teilgenommen und stellte sich im Anblick des Denkmals immer wieder die Frage: Warum bin ich davongekommen? Im Geiste sah er stets diejenigen seiner ehemaligen Schüler vor sich, deren Namen in seinem Kopf so eingemeißelt waren wie auf den Marmortafeln des Denkmals. Und noch eine bohrende Frage quälte ihn: Wie konnte es nur soweit kommen? 

 

Im Oktober des Jahres 1984 war die Niederdreeser Bevölkerung im Saal Stein versammelt, um die Goldene Hochzeit ihres alten Lehrers Vinzenz Odenthal und seiner Frau Maria zu feiern. Nach der Ehrung der Jubilare und Darbietungen des Männer-Gesang-Vereins erhob sich der alte Niederdreeser Schulleiter und hielt mit brüchiger Stimme in rheinisch gefärbtem Tonfall eine Ansprache:

 

„Liebe Niederdreeser, 

ich bin wirklich überwältigt von dem, was ich gehört habe, ich hätte das nie erwartet.

Nun will ich aber doch auch nicht vergessen: Ich habe euch alle noch vor mir, wie ihr bei mir in die Schule gegangen seid. Ich weiß auch noch, wo ihr gesessen habt, ganz genau. 

Aber wir wollen eines nicht vergessen: Alle können nicht hier sein, und ich möchte doch – ich kann nicht anders, ich muss es sagen – die, die nicht wiedergekommen sind, möchte ich noch einmal erwähnen. Wenn ich jetzt die Namen sage, auch in Niederdreeser Platt, nehmt mir das nicht übel:

 

Da ist zuerst der Füsesch Josef (Josef Feuser), genannt Füsesch Jüppsche im Oberdorf, dann denke ich an den Johannes Feuser an der anderen Seite des Dorfes, im Osten, das war dem Füsers Käsper sein Junge, dann gehe ich hier herum zu Heegers Willi, dann kam der Jodokus Sauer, genannt der Vilze Dökes, dann geh ich weiter nach unten, dann hier herum, da kommt der Barth Jupp, Josef Barth, mein Libero im Fußball, dann geh ich weiter in die Honighofgasse, der Josef Fuß, genannt der Honischjasse Josef, jetzt geht es weiter nach unten, da kommt noch der Büser Heinrich, genannt Büser Heinte, der leider auf einem Schiff am Vierling gefallen ist, dann kommt der Bernhard Schmitz, genannt der Baier Bernd, der ist in Ungarn geblieben, dann der Krämersch Willi, Sohn von Krämers Jupp, und noch einen muss ich nennen, und zwar den Willi Mörsch, der saß oben auf der ersten Bank an der Ecke, der ist als Kompanieführer in Stalingrad geblieben. Der hatte ein Zeugnis, das konnte man nicht besser schreiben, nur ein konnte er nicht – wo ist Peter Josef? – er konnte nicht singen. Und da hab ich gedacht, soll ich ihm ein mangelhaft geben? Da schreibst du lieber: genügend plus.

Ich sehe sie ja alle, und ich gehe an jedem Tag dreimal an dem Denkmal vorbei, ja, da ist es mir manchmal ein bisschen komisch und ich denke: Du bist wiedergekommen, das große Schwein hast Du gehabt. Das war keine Leistung, das war Glück. Dafür muss ich dem Herrgott dankbar sein. Deshalb habe ich das hier erwähnt – wollen wir sie hier mitfeiern lassen ….“

 

Die Reihenfolge der Namen entsprach dem Gang, den der alte Herr täglich durch das Dorf machte. Zu ihm hat das Ehrenmal gesprochen. Jeden Tag. 

 

Hartmut Neumann